Es ist Sonntag. Und wie an vielen anderen Sonntagen baue ich mir auch an diesem Nachmittag mein „Sonntags-Set-up“ auf der Couch auf. Dieses Set up besteht aus Büchern, meinem Bullet Journal, Stiften, der Fernbedienung, Tee und einer Orange. (Oder Kaffee und Keksen. Oder Kakao und Schokolade.) Da es November ist, knipse ich unsere unendlich lange Lichterkette an, die sich um Fenster und Couch schlängelt. Wenn ich richtig kuschelig gestimmt bin, gesellen sich noch ein paar Kerzen dazu. Ich lege mir so viele verschiedene Dinge bereit
, weil ich die Auswahl haben möchte. Ein Sonntag Nachmittag ohne Termine ist für mich Freiraum, um einfach „zu sein“. In den meisten Fällen habe ich einen bereichernden Gottesdienst hinter mir, ein leckeres Mittagessen und kann nun in vollen Zügen „nichts müssen“.
Ich bin bekennender Sonntags-Liebhaber, schon seit ich denken kann. Und seit einiger Zeit schaffe ich es auch wieder häufiger, diesen Tag zu dem Tag in der Woche zu machen, an dem ich nicht arbeite. Arbeit beinhaltet für mich persönlich all die Dinge, die jemand von mir erwartet oder die ich von mir selbst erwarte. Meine Prämisse: Alles, was in mir Druck und Anspannung verursacht macht am Sonntag Pause. Ich darf mich innerlich frei fühlen. Das Leben geht auch ohne mich weiter.
Anders als geplant
Und während ich stolz darüber bin, mir auch an diesem Sonntag wieder diese Zeit eingeräumt und meine Entspannungs-Utensilien bereitgelegt zu haben, spüre ich, dass irgendetwas anders ist. Draußen wird es dunkel und ich habe plötzlich ein Problem damit. Ja, ich predige Gemütlichkeit, Kerzen und Kakao. Ich will, dass wir die Dunkelheit akzeptieren und den November so nehmen, wie er ist. Ich will, dass wir uns mit einem Buch auf die Couch verkrümeln und entschleunigen. So darf der Sonntag sein. So darf der Herbst sein.
Doch da ist er, der Sonntags-Blues. Die Dunkelheit kriecht in mich hinein und ich kann nichts dagegen tun. Ich habe viele gute Bücher zur Auswahl, aber ich schaff nur ein paar Seiten. Ich höre meinen Comedy-Podcast, der sich dieses Mal um den Sinn des Lebens dreht. Einerseits bin ich fasziniert von den Sichtweisen der beiden Sprecherinnen, andrerseits hätte ich heute ein wenig mehr Comedy vertragen können. Also schalte ich einen öden, vorhersehbaren High-School-Film ein: Unscheinbares Mädchen verliebt sich unsterblich in den coolen Jungen mit der Gitarre
, der sie nicht zu bemerken scheint. Also hilft ihr der Nachbarsjunge (den sie schon ewig kennt) bei einem Umstyling und den passenden Tipps für ein Date. Gitarrenjunge stellt sich als Blödmann heraus. Und sie landet (man hat es nicht kommen sehen) schlussendlich knutschend mit dem Nachbarsjungen beim Abschlussball.
Oh, wie hätte ich mich früher über diese Handlung aufgeregt. Sowas von unrealistisch und kitschig. Doch heute schaue ich mir diesen Film mit einer merkwürdigen Mischung aus Lethargie und Melancholie an. Ich bin einerseits gelangweilt, andrerseits muss ich an meine Jugendzeit denken. Ich habe das absurde Verlangen, zu ihr zurückzukehren. Diese Filme stellen es immer so dar, als wäre es cool, das unscheinbare Mädchen zu sein. Vielleicht hätte ich cool sein können.
Ich plane die nächste Woche in meinem Bullet Journal. Das fühlt sich gut an. Ich bereite auch die Monatsübersicht für Dezember vor. Weihnachtszeit, ich komme. Doch das war’s dann auch. Ich sitze da und bin traurig. Aber ich weiß nicht, über was. Ich lasse mir ein Bad ein und höre den Podcast zu Ende. Er ist nun doch noch witzig geworden, aber diese Stimmung überträgt sich nicht auf mich. In mir ist der Sonntags-Blues.
Traurig über alles und nichts
Und obwohl er grundlos begann, sind da auf einmal Stimmen in meinem Kopf, die sich über Zustände in meinem Leben aufregen. Die sich traurig in Selbstmitleid über etwas suhlen, mit dem ich sonst ganz gut klar komme. Themen, die im Licht betrachtet erklärbar und aushaltbar sind, doch die Dunkelheit macht sie schwer und hoffnungslos. Und da sind sie, die Tränen über alles und nichts. Ob Dunkelheit, Hormoncocktail oder tatsächliche Trauer – ich kann es nicht mehr auseinanderhalten.
Früher hätte ich mich fertig gemacht. Ich hätte so lange nach einer Erklärung gesucht, bis ich eine gefunden hätte. Ich hätte Probleme durchgekaut, nur um danach noch deprimierter zu sein. Letztendlich hätte ich ein schlechtes Gewissen wegen meiner Traurigkeit bekommen. Und ganz zum Schluss ein schlechtes Gewissen aufgrund meines schlechten Gewissens. Und nichts, was ein guter Freund oder mein Mann gesagt hätte, hätte in diesem Moment geholfen.
Doch heute kuschel ich mich in meinen weichen Bademantel und sage mir: ‚Es ist okay. Morgen wird es wieder besser sein.‘ Und sobald mir diese Erkenntnis leise über die Lippen kommt, bin ich erleichtert und beinahe überrascht über mich selbst. Ja, morgen wird es wieder besser sein! Es ist eine abgedroschene Ermutigung, aber sie ist wahr. Für einen kurzen Moment bin ich in der Lage, auf Erfahrungswerte zurückzugreifen und zu erkennen: So bin ich. Dunkelheit kann mich traurig machen und alles viel schwerer darstellen als es ist. Aber am nächsten Tag, da wird es besser sein. Das weiß ich.
Also zwinge ich mich nicht mehr, meine Stimmung zu ändern. Ich versuche auch nicht herauszufinden, ob ich wirklich ein Problem habe oder dies nur durch die herbstliche Abendstimmung verstärkt wird. Ich mache mich bettfertig, lese noch ein paar Seiten und werde müde. Schließlich schlafe ich ein, ohne eine Lösung gefunden zu haben. Und das ist okay.
Sich selbst ernst nehmen
Ich habe hauptsächlich einen Wunsch, wenn ich mit anderen über meine Probleme und Sorgen rede: Ich möchte ernst genommen werden. Ich will ein offenes Ohr und ernst gemeinte Zuwendung. Mehr nicht. Denn um ehrlich zu sein, nehme ich nur wirklich wenige Ratschläge von nur wirklich wenigen Menschen an. Und einfach ein wenig bemitleiden lassen? Oh nein. Damit kann ich nichts anzufangen.
Wenn ich in Zeiten der Traurigkeit also lediglich ernst genommen werden will: Warum sollte ich mich nicht auch selbst ernst nehmen? Das, was ich gestern Abend zu mir selbst gesagt hatte, war alles, was ich in diesem Moment hören musste: „Es ist okay. Es ist okay, dass ich so bin.“ Es war die einzige Stimme, die in dem Stimmen-Chaos Sinn ergab. Jede Beschwichtigung, jeder Ratschlag hätte Widerworte und innere Kämpfe ausgelöst. Doch so konnte ich loslassen und darauf vertrauen, dass Gott aus meinen Gefühlen irgendetwas machen würde. Ich gab die Kontrolle auf und den Zwang, etwas in Ordnung bringen zu müssen. Ich verfiel nicht in Panik, weil nicht einmal ein Vollbad meine Stimmung heben konnte. Es war einfach wie es war.
Und manchmal ist das zu akzeptieren der beste Weg, damit es wieder anders werden kann.
Gerade in diesem Moment kann ich es schon wieder nicht fassen, dass es bereits dunkel wird. Ich habe leichte Kopfschmerzen. Also trinke ich meinen Kaffee, esse einen Keks und freue mich, dass ich bald unter Menschen komme. Ich muss ein wenig seufzen und denke mir: „Okay.“
Constanze