Veröffentlicht in Gedanken

Extrovertiert oder introvertiert?

Vergangenes Wochenende ging ich mit zwei Freundinnen zu einer offenen Swing-Tanzstunde in einem Café mit anschließendem freien Tanzen und gemütlichem Beisammensitzen. Ich freute mich darauf – ich mag Tanzen, ich mag Gespräche mit meinen Freundinnen und ich mag Kaffee. Die reinen Fakten sprachen dafür, dass solch ein Event komplett meiner Persönlichkeit entsprechen müsste. Und wer meine albernen Tanzschritte aus der Disko oder von Hochzeiten kennt, der weiß, dass ich kein Problem damit habe, Tanzen nicht wirklich zu können aber trotzdem zu lieben.
Ich war erstaunt, wie schnell dieser Abend mich lehrte, dass ich meine Persönlichkeit manchmal zu einseitig einschätze.

Erst vor kurzem „bescheinigte“ mir ein Persönlichkeitstest, dass ich zu 55 % introvertiert im Gegensatz zu extrovertiert bin. Das spiegelte ziemlich genau das wider, was ich die letzten Jahre über mich empfunden hatte. Als Kind und Teenager war ich mir meiner Introvertiertheit relativ bewusst. Als ich älter wurde, wurde ich allerdings auch aufgedrehter, alberner und konnte mich besser in Gruppen einfügen. Es zeigte sich, dass ich auf jeden Fall starke soziale Bedürfnisse hatte. Aber konnte man das mit Extrovertiertheit gleichsetzen? Da war ich mir unsicher. In den letzten Monaten merkte ich wieder verstärkt, wie sehr ich Zeiten für mich allein brauchte, ja sogar eine gewisse „Erholungszeit“ von Gruppentreffen.

Nachdem wir uns an diesem Abend einen Platz ausgesucht und Getränke bestellt hatten, hatte die Tanzstunde bereits begonnen und einige Leute befanden sich in einem Kreis und bewegten sich zur Musik locker hin und her. Auch meine Freundinnen waren schnell dabei, aber etwas in mir hielt mich zurück. Es war das Bedürfnis, erst einmal zu beobachten.

Ich beobachtete das Geschehen. Ich überlegte, ob mir zusagte, was da geschah und erst ein paar Minuten später beschloss ich, daran teilzunehmen. Doch dann kam schon die nächste Hürde: Partnerwechsel. Und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder. Ich habe weniger ein Problem damit, fremde Menschen zu berühren, sondern viel mehr, mich innerlich immer wieder auf jemand neuen einzulassen. Denn was gibt es da nicht alles zu bedenken: Möchte der andere smalltalken oder nicht? Und wenn ja: über was um Himmels Willen soll man eigentlich immer smalltalken? Darf ich mein Gegenüber darauf hinweisen, wenn es nicht mehr im Rhythmus ist? Ist es komisch, wenn ich ihn direkt anschaue? Und da es definitiv komisch ist – ist es okay, wenn ich einfach nur nach unten schaue und so tue, als wäre ich mir auch nach der dritten Wiederholung noch in den Schritten unsicher?

Die Internetseite des besagten Persönlichkeitstests enthält einige interessante Informationen zu dessen Theorie und Entstehung. Unter anderem klärt sie das weit verbreitete Missverständnis zur Extro- und Introvertiertheit auf. Viele Menschen glauben nämlich, Introvertiertheit mit Schüchternheit und Extrovertiertheit mit starken sozialen Kompetenzen gleichsetzen zu können, aber so leicht ist es nicht. Vielmehr beschreiben diese zwei Charaktereigenschaften lediglich, was uns erschöpft und was unseren „Energie-Tank“ aufläd, also was uns stärkt. Introvertierte Menschen werden eher gestärkt durch Allein-Zeiten und extrovertierte Menschen durch das Beisammensein mit anderen. Dies sagt jedoch nicht zwingend etwas darüber aus, wie ruhig, schüchtern oder sozial wir sind.

Es mag albern klingen, aber als ich das las, fühlte ich mich zum ersten Mal mit meiner „zwigespaltenen Persönlichkeit“ im Reinen. Denn genau dieses Missverständnis hatte Menschen in meiner Umgebung häufig dazu geführt, falsche Rückschlüsse über mich zu ziehen. Denn es ist meist offensichtlich zu sehen, dass ich sehr viel für soziale Kontakte übrig habe. Für mich geht weniges über ein gutes, intensives Gespräch. Ich liebe alberne Gruppenkonversationen, bei denen man sich vor Lachen kaum noch eingekriegt.
Aber was die Leute nicht sehen, ist, dass ich mich immer wieder zurückziehen muss um aufzutanken. Mit einem Notizbuch, mit Gott, einem dummen Film oder meiner Gitarre. Und ich brauche diese Zeit öfter als die meisten denken. Denn nur so kann ich meine volle Energie auch wieder im Kontakt mit anderen Menschen einbringen.

Wer auch etwas mehr über seine Persönlichkeit herausfinden möchte und von Zeit zu Zeit denkt „Warum bin ich eigentlich so wie ich bin?“ dem kann ich diesen Persönlichkeitstest und die Theorie dahinter empfehlen: 16 personalities.
Mir ist bewusst, dass es viele verschiedene Persönlichkeitstests gibt und alle möglichen psychologischen Weisheiten darüber, wie man Menschen kategorisieren kann. Doch darum geht es nicht. Vielmehr geht es darum herauszufinden, wie vielschichtig wir Menschen sind. Denn nur wenn wir das entdecken und anerkennen, können wir unser volles Potenzial ausschöpfen.

Ich genoss den Swing-Tanzabend. Ich tanzte ein wenig, aber ich saß auch da und beobachtete mit einem Glas Trinkschokolade in der Hand das Geschehen. Und ich war vollkommen zufrieden damit.

Constanze

(photo by StockSnap)