Ich sitze im Wartezimmer der Arztpraxis. Hautkrebsvorsorgeuntersuchung. Das habe ich mir schon vor Ewigkeiten vorgenommen und nun endlich umgesetzt. Dass es so lang gedauert hat, hängt wohl hauptsächlich damit zusammen, dass es nicht meine eigene Idee war, sondern mein Mann mich gedrängt hat. Naja, das ist schon okay. Ich will schließlich auch, dass er mehr Obst und Gemüse isst, damit er lange lebt. Meine Haut macht immer mal wieder komische Sachen, ein Gesamtcheck kann demnach nicht schaden.
Das Wartezimmer ist ein Ort, an dem es mir nicht so viel Freude bereitet, die ganze Zeit auf mein Handy zu starren. Das liegt vielleicht daran
, dass viele ältere Leute einen dabei beobachten und sich denken könnten „Die Jugend heutzutage…“. Ich möchte ihnen einen Grund geben, positiv über die Jugend zu denken. (Heuchelei? Vielleicht.) Doch das ruhige Flair lädt im Allgemeinen eher zum Lesen ein und somit ist ein Arztbesuch für mich eine dieser selten werdenden Gelegenheiten, für die ich mal ein Buch einpacke. Ich komme nicht umhin, mich beim Lesen dennoch beobachtet zu fühlen. Die meisten bevorzugen es tatsächlich, einfach nur vor sich hinzustarren und nichts zu tun. Das ist allerdings auch eine Kunst! Und dennoch habe ich das Gefühl, ein wenig Leben in den Raum zu bringen – ich lächle immer mal wieder oder muss bei dem Gelesenen schmunzeln. Das kann bei dieser trüben Arztstimmung doch nicht schaden. (Übrigens: Ich lese momentan das Buch „Vom Stolpern und Tanzen – Das Leben, Jesus und ich“ von Christina Schöffler – echte, ermutigende Lebensberichte direkt aus dem Alltag. Ein wahrer Schatz für Herz und Seele, ich kann es jedem (vor allen Frauen) empfehlen!)
Kennt ihr das – diese Angst, im Wartezimmer den Aufruf des eigenen Nachnamens zu verpassen? Die hab ich immer. Ich will nicht zweimal aufgerufen werden müssen, sonst wären die Schwestern womöglich von Anfang an von mir genervt (was wahrscheinlich nicht stimmt). Doch auch dieses Mal ist sowohl die Schwester als auch die Ärztin furchtbar nett und ich verpasse meinen Aufruf nicht. (Mein Nachname ist kurz und unkompliziert. Ich sollte diese Angst ad acta legen.)
Am nächsten Tag bin ich gleich noch einmal da
, denn mir wird eine Hautprobe entnommen. Als mir die Ärztin dies am Tag zuvor mitteilt, tue ich erst einmal völlig professionell, als wäre das das Normalste auf der Welt für mich. Als sie mir den Vorgang etwas genauer beschreibt, kommt es leider doch zu einer dezenten Gesichtsentgleisung meinerseits. „Oh, gibt es irgendein Problem damit?“, fragt sie besorgt nach. „Nein, nein, ist nur nicht so eine schöne Vorstellung.“ „Ja, es gibt Schöneres.“ Na toll, jetzt denkt sie, ich bin so eine Zimperliche, die keine Wunden, Nähte und Co. sehen kann! (Was absolut zutrifft.)
Mittlerweile kann ich meine Nervosität, was solche Dinge betrifft, jedoch in Grenzen halten. Und ich weiß vor allem, wie ich mich bei anstehendem (wenn auch nur leichtem) Blutverlust vorbereiten muss: Viel Essen! Die Ärztin versichert mir, dass ich vorher frühstücken kann und fragt mich auch am nächsten Tag noch einmal, ob ich normal gegessen habe. Sie scheint mit einem Blick erfasst zu haben, was mein Körper braucht… Und ja, ich habe nicht nur einmal gefrühstückt, sondern gleich zweimal. Ich geh auf Nummer sicher!
Dann kommt der anstrengendste Teil: Small Talk mit der Ärztin, während sie sich an meinem Handgelenk zu schaffen macht. Sie merkt wohl, dass ich konzentriert versuche, entspannt zu bleiben und stellt mir eine Frage nach der anderen über mein Studium und meine Arbeitsstelle. Es ist ja wirklich lieb gemeint, aber ich hätte überhaupt kein Problem damit, einfach nur die Anatomie-Bilder an der gegenüberliegenden Wand anzustarren und auswendig zu lernen. Ich habe außerdem das Gefühl, dass meine momentane Lebenssituation nicht so einfach in einem Small Talk – Gespräch während einer OP zu erklären ist. Aber das liegt wohl nur an meinem verdrehten Wunsch, dass jeder, dem ich von meinem Leben erzähle, ebenso die Beweggründe für meine Entscheidungen nachvollziehen soll. Da ich diese nicht präsentieren kann, während ich probiere, das ziehende Gefühl des Nähens zu ignorieren, erzähle ich ihr nur ein paar „unkomplizierte Halbwahrheiten“… Wie es wohl wäre, beim nächsten Arztbesuch eine komplett ausgedachte Geschichte über das eigene Leben vorzutragen? Wenn ich Schauspielerin wäre, würde ich solche Situationen vielleicht zum Üben nutzen. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich nicht einfach zu mir gestanden habe. Warum mache ich mir Gedanken darüber, was meine Hautärztin über mein Leben denkt? Verrückt.
Am Ende bringen sie und die Schwester mich ziemlich zum Lachen als sie feststellen, dass sie ein wenig auf meinen Gürtel und meine Jeans gekleckert haben – mit Blut. „Oh nein, das tut mir jetzt total Leid, ist das wirklich nicht schlimm? Aber Sie kippen da jetzt nicht um, oder?“ Nein, mit dem Anblick von getrocknetem Blut auf Klamotten kann ich leben und das Oberteil ist lang genug, um die Stelle zu verdecken. Als ich aufstehe, merke ich allerdings doch, dass mir ein wenig schwindlig ist. Ich bin sowas von empfindlich! Sobald ich das kurz äußere, sind die beiden wieder total engagiert. Ich soll mich bitte noch einmal hinsetzen. Ob ich noch etwas zu trinken bräuchte. Sind Sie sicher, dass es jetzt schon geht? „Ja, ich lauf vor bis zum Wartezimmer, da kann ich mich ja notfalls noch einmal hinsetzen.“
Als ich gehe, muss ich lächeln und ich bin wieder einmal dankbar für Ärzte. Ich weiß, dass es sich nur um eine Kleinigkeit gehandelt hat und andere tagtäglich mit ganz anderen medizinischen Problemen zu kämpfen haben. Doch durch diese kleine Sache ist mir wieder bewusst geworden, was für ein Segen es ist, schnelle, professionelle medizinische Betreuung zu erhalten. Viel zu oft regen wir uns nur über Ärzte auf – lange Wartezeiten, schnelles Abfertigen, Unfreundlichkeit… All das kommt vor, keine Frage. Teilweise habe ich es auch schon erlebt oder mir schaurige Geschichten erzählen lassen. Aber alles in allem erlebe ich sehr viel Freundlichkeit und Fürsorge. Ich erlebe, dass Ärzte und Pflegekräfte ihr Bestes geben und einen Beruf ausüben, den ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kann.
Genauso wie es meinen Tag viel schöner macht, wenn mich der Verkäufer an der Kasse anlächelt hebt es meine Stimmung, wenn ich beim Arzt freundlich behandelt werde. Ich nehme diese „Kleinigkeiten“ dankbar aus Gottes Hand und versuche, sie weiterzugeben – nicht, in dem ich jemand anderem am Handgelenk ein Stück Haut abschneide… aber in dem ich diese gute Laune weitertrage. Das Lachen der Schwester. Die Ruhe und Freundlichkeit der Ärztin. Das Gefühl, mit einem Reichtum gesegnet zu sein, der nicht in jedem Land vorhanden ist. Diese Dankbarkeit kann ich ausstrahlen. Es ist nicht schwer! Und ich kann sie in Formen weitergeben, die eher meinen Gaben entsprechen. Und das führt mich wieder zu der Erkenntnis: So vieles kann mich inspirieren. Nicht nur Menschen, die in der gleichen Berufsgruppe tätig sind. Es lohnt sich, aufmerksam durch die Welt zu gehen und Dinge zu schätzen, die manchmal viel zu selbstverständlich werden.
Constanze
(photo by aldineiderios)
Das kann ich so gut nachvollziehen!! Ich bewundere meinen Zahnarzt so sehr, er macht seine Arbeit toll und ich frage mich währenddessen oft, was seine Beweggründe dafür sind. Deine Behandlung klingt auch spannend… Irgendwie gruselig 🙁 mich würde mal die ganze Prozedur interessieren, weil ein Opa leider an Hautkrebs gestorben ist. Kannst mir gern mal dazu schreiben 🙂 LG!
Ja, ich frage auch gern immer alle Ärzte und Medizin-Studenten die ich kenne, was ihre Beweggründe für den Beruf sind, weil ich das total spannend finde.
Meine Behandlung war aber wirklich keine gruselige, große Sache, aber da schreibe ich dir nochmal extra 😉
Liebe Grüße!
Ach liebe Constanze, ich kann das alles sowas von gut nachempfinden, diese ganzen Gedanken… Danke für deine erfrischende, ermutigende, feinfühlige Ehrlichkeit. Es ist echt schön, über deinen Blog wieder ein bisschen etwas von dir mitzubekommen nach so langer Zeit! Ich freue mich an dir und schicke dir ganz liebe Grüße aus Dresden! Sei fett gesegnet!
Ach, das freut mich, schön von dir zu lesen!! 🙂
Ganz liebe Grüße zurück nach Dresden! 🙂
Hey Conni, ich habe zum ersten Mal in deinem Blog geschaut. Ich freue mich gerade über ähnliche Gedankengänge zwischen uns. Ist es nicht eigentlich schade, wieviel wir mit Gedanken zu „was denkt wer über uns, wie wirkt das auf andere…“ etc. beschäftigt sind? Ich empfinde diese Gedanken manchmal als anstrengend und trainiere mich mit Achtsamkeit, Meditation u.ä. mehr bei mir zu bleiben und in mich zu gehen. Andererseits können wir durch diese Art auch die schönen Dinge an anderen Menschen wahrnehmen, Empathie verspüren usw. Ich freue mich auch immer tierisch über nette Ärzte, Schwestern, Kassierer, Postboten und und und. Und ich denke auch, dass es für sie schön ist, ebensoviel Freundlichkeit zu empfangen. Dankbarkeit ist hier, denke ich auch ein guter Schlüssel.
Ich mag deine Gedanken und deinen Stil auf deinem Blog. Ich werde sicher öfter mal vorbeischauen.
Liebe Grüße
Hey Madleine! Schön, dass du vorbeigeschaut hast 🙂 Du hast absolut Recht! Für mich ist es eine Sache, an der ich sehr arbeiten muss – dass ich mir weniger Gedanken darüber mache, was andere über mich denken. Definitiv eine meiner größten Schwächen… aber gleichzeitig auch Stärke, wie du auch schreibst, weil es ebenso Empathie ermöglicht. Ich glaube auch, dass Achtsamkeit dabei ein wichtiger Schlüssel ist. Momentan bin ich ganz froh, dass ich mich immerhin schon besser selbst „entlarven“ kann, es also selbst mehr merke, wenn ich zu sehr darüber nachdenke, was andere denken könnten…
Ganz liebe Grüße!
Constanze
Du hast einen erfrischenden Schreibstil! Ich habe auch schon zwei Mal über Arztbesuche und Wartezimmer geschrieben. Sogar die eigene Darmspiegelung kann man amüsant verkaufen – wenigstens für die Leser ;-). Ja und Dankbar bin ich ebenso für Ärzte und Schwestern. Gerade ich, deren zweites Zu Hause Arztpraxen und Krankenhäuser sind. Danke für den Beitrag. Ich lese gerne bei dir. Herzlichst Sandra
Oh, das muss ich mir unbedingt einmal anschauen! 😉 Ja, manchmal tut es ganz gut, finde ich, über etwas in gewisser Weise amüsant zu schreiben, um sich selbst auch ein wenig die Angst zu nehmen.
Ganz liebe Grüße!
Constanze
Ich musste mehrmals schmunzeln beim Lesen und habe mir gleich gedacht, das könnte ich sein…beim Blutabnehmen muss ich mich hinlegen und als mir der Arzt vor nem guten Jahr erklärt hat wie die Labroskopie zur Entfernung meiner Gallenblase funktionieren wird, bin ich fast auf dem Stuhl umgekippt 😀
Aber ich bin auch sehr dankbar für die Hilfe und Fürsorge aller Ärzte bei uns in Deutschland. Auch wenn mir manchmal keiner glauben will, dass ich überhaupt ein Problem habe (was vielleicht auch an den vielen Leuten liegt die wegen eines Schnupfens zum Arzt rennen…), werde ich am Ende immer gut versorgt 🙂
Ja ich glaube ich sollte auch anfangen, immer gleich eine Liege beim Blutabnehmen einzufordern… 😉